Deutsche Welle: Herr Professor Balcerowicz, die Ausgangslage in Polen war in der Zeit vor 1990, in der Zeit des Umbruchs, sehr problematisch.     
Leszek Balcerowicz: Sie war katastrophal, um ehrlich zu sein.

DW: Sie war katastrophal und Sie haben damals Maßnahmen ergriffen, die das Land aus dem Chaos, aus der Katastrophe führten.
LB: Lassen Sie mich erklären, warum ich sagte, dass die Lage katastrophal war. Wir hatten eine Inflation, in der zweiten Jahreshälfte 1989. Die Inflationsrate war zwischen 20 und 40 Prozent monatlich und die Wirtschaft schrumpfte. Es war eine chaotische Lage. Aber wir haben eine umfangreiche und radikale Lösung eingeführt. Und das zeigt, dass es, selbst wenn die Wirtschaftslage sehr schwierig ist, ökonomische Lösungen gibt. Der Hauptpunkt ist, die politische Unterstützung für richtige ökonomische Lösungen zu finden.

DW: Welche Maßnahmen waren das in unserem Fall?
LB: Wir hatten ein enormes Staathaushaltsdefizit und wir haben das radikal gekürzt. Dieses Staatshaushaltsdefizit wurde durch die Zentralbank finanziert und das war die Hauptursache für diese Inflation. Also die Kürzung, die radikale Kürzung des Staatshaushaltsdefizits, erlaubte uns eine bessere Situation in den öffentlichen Finanzen und auch, die Inflationsrate zu kürzen. Wir haben in der gleichen Zeit sehr umfangreiche strukturelle Reformen durchgeführt, dass heißt Privatisierung, Liberalisierung der Wirtschaft, Öffnung im Außenhandel. Das war nicht nur die Nachfragepolitik, sondern auch eine sehr umfangreiche Angebotspolitik.

DW: Und das ganze haben Sie mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds durchgeführt ?
LB: Das war eine konditionelle Unterstützung. Wir hatten keine Probleme mit dem IWF, da die Strategie polnisch war. Sie war nicht aufgezwungen, wir haben diese Strategie erarbeitet. Ich arbeitete in einer kleinen informellen Gruppe. Selbst der Sozialismus arbeitete an einer Strategie, wie Polen seine Wirtschaft stabilisieren und wie man die Wirtschaft entwickeln könnte.

DW: Herr Professor, wie hat das Volk auf diese Maßnahmen reagiert? Wie haben die Polen reagiert?
LB: Das ist der Unterscheid, den ich zwischen der polnischen Lage von 1989 und Griechenland sehe. Ich würde sagen, dass die wirtschaftliche Lage in Polen schwieriger war als jetzt in Griechenland. Aber die politische Lage war besser, weil die meisten Leute wussten, dass diese Wirtschaftskatastrophe von dem sozialistischen System verursacht wurde, und es gab deshalb relativ wenig Widerstand gegen die umfangreichen und radikalen Reformen. Es gab sehr wenig Streiks, sehr wenige Demonstrationen. Schlussfolgerung für mich ist, man sollte versuchen, die griechische öffentliche Meinung davon zu überzeugen, dass man, damit Griechenland in der Eurozone bleiben kann, umfangreiche und radikale Reformen durchführen muss.

DW: Herr Professor, der IWF wird in Griechenland als der Teufel bezeichnet. Ist der IWF der Teufel, oder ist er der Engel der verschuldeten Länder? Was ist seine Rolle?
LB: Unsere Erfahrung war, dass er ein Partner war. Aber wie gesagt, wir hatten in Polen unsere Strategie für die Lösung vieler Wirtschaftsprobleme. Auf diese Strategie gestützt haben wir sachliche Verhandlung mit dem IWF geführt. Es gab keine großen Unterschiede, unserer Meinung nach. Ich persönlich habe niemals den IWF als einen Teufel geschildert. Wir haben immer gesagt, dass ist unsere Strategie. Wir wollen unsere Wirtschaft retten, wir wollen entwickeln und deshalb müssen wir und sollen wir diese umfangreichen und radikalen Reformen machen. Das ist die beste Nutzung der Freiheit, der Unabhängigkeit, die Polen 1989 gewonnen hatte. Und wie gesagt, ich denke, dass die meisten Griechen wollen, das Griechenland in der Eurozone bleibt. Das ist wichtig. Was man wenigstens versuchen sollte, ist zu sagen, wie das Ziel erreicht wird. Vielleicht ist es eine gute Idee die Parlamentswahlen mit einem Referendum über das Verbleiben in der Eurozone zu verbinden. Vielleicht sollte jemand wie Monti aus Italien nach Griechenland fahren und sagen, was im Interesse Griechenlands ist.

DW: Was ist ihrer Meinung nach das Beste für Griechenland? Ist es das Verbleiben in der Eurozone oder wie Hans Werner Sinn, der deutsche Ökonom sagt, die Griechen sollen die Eurozone verlassen um eben ihre Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu gestalten.
LB: All das hängt von der Wirtschaftspolitik ab. Es gibt ein gutes Beispiel für Griechenland, das ist Bulgarien, sein Nachbarland. Bulgarien hatte eine tiefe Rezension 1992 wegen eines Kreditbooms, aber die Bulgaren haben radikale, umfangreiche Reformen durchgeführt, einschließlich einer Reduzierung von Staatsausgaben, und die bulgarische Wirtschaftslage hat sich verbessert. Es gibt auch gute Beispiele in den baltischen Staaten, die sehr radikale Reformen durchgeführt haben. Also, wenn man in Griechenland diese Reformen macht, einschließlich Kürzungen von übermäßigen Ausgaben und umfangreiche Privatisierung und Liberalisierung, dann besteht die Chance, dass Griechenland in der Eurozone bleiben kann. Wenn man das nicht macht, ist das natürlich problematisch.

DW: Sie sind aber der Meinung, dass die Griechen in der Eurozone bleiben sollen?
LB: Das hängt von der Wirtschaftspolitik der Griechen ab, und die griechische Wirtschaftspolitik hängt von der Politik ab, die die Griechen wählen werden. Meiner Meinung nach, ist es das Beste für Griechenland, die Reformen zu beschleunigen, besonders die Reformen der Angebotsseite, und dann dank dieser Reformen im Stande zu sein, in der Eurozone zu bleiben.

DW: Sie verfolgen die Entwicklung in Griechenland und in der Eurozone? Was ist ihre Prognose für die Zukunft Griechenlands?
LB: Griechenland wird natürlich nicht verschwinden. Wir sprechen von der Wirtschaftslage in Griechenland und niemand sagt, niemand weiß, ich weiß es auch nicht, wie die Wahlen ausgehen werden. Ich kann mir zwei Szenarien vorstellen. Einmal, dass eine radikale Koalition gewählt wird, und dann wahrscheinlich die Wirtschaftspolitik dieser Koalition so sein wird, dass Griechenland nicht in der Eurozone bleiben kann. Aber wenn anders gewählt wird, dann sehe ich eine Chance. Und deshalb habe ich vorgeschlagen, in Griechenland ein Referendum über das Verbleiben in der Eurozone zusammen mit den Wahlen zu machen.

DW: Herr Professor, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.
LB: Ja, vielen Dank.

DW: Auf Wiederhören.