Steffen Kampeter – Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen
Statement anlässlich der Plenardebatte „Weltklasse oder 2. Liga: Staatsverschuldung und Eurokrise – wie kommt Europa wieder in die Offensive? Schlussfolgerungen aus deutscher und polnischer Sicht.“
5. Deutsch-Polnische Medientage, 15. Mai 2012, Schwerin
Erst einmal herzlichen Dank für die Einladung hierher, nach Schwerin. Der Botschafter hat mir die Einleitung meiner Rede „weggenommen”, denn das Bundesfinanzministerium ist sozusagen auch „Tür an Tür“ mit dem Ausstellungsort dieser gleichnamigen, wunderbaren Ausstellung gewesen. Das BMF sitzt im Sagebiel-Bau, in dem sich die bewegte deutsche Geschichte besonders widerspiegelt. Der Martin-Gropius-Bau liegt Tür an Tür, und so hat diese Ausstellung sehr viel Aufmerksamkeit auch bei uns hervorgerufen, beginnend vom Adalbertkult bis hin zum Auseinanderbrechen und Wiederzusammenwachsen Europas nach dem Kalten Krieg. Herr Botschafter, das war ein guter, das war ein toller Beitrag der polnischen Präsidentschaft, der sicher nur für das politische, sondern auch für das kulturelle Verständnis zwischen beiden Nationen sehr viel gebracht hat, weil jeder Besucher der Ausstellung besucht hat, nämlich gelernt hat, welch kulturellen Reichtum die deutsch-polnischen Beziehungen und Polen für Europa gebracht haben. Nicht nur, weil Sie hier sitzen, sondern weil es meine innere Überzeugung ist: Respekt, nicht nur für diese Ausstellung, sondern Respekt auch gegenüber der Republik Polen, Respekt für das, was Sie in Europa und für Europa leisten.
Ich bin gebeten worden zu erklären, warum Deutschland wirtschaftlich so gut aufgestellt ist. Das ist natürlich ein Geschenk an einen Regierungsvertreter, aber ich vermute, die kritischen Fragen kommen dann in der Diskussion. Sie wollen ja immer Fußballanalogien hören, vor allem so kurz vor der Europameisterschaft: Erstens glaube ich, Deutschland steht gut da, weil wir einen Plan hatten. Jeder Trainer hat ja einen Plan. Unser Plan heißt Soziale Marktwirtschaft. Das ist gar kein Plan, sondern eine gesellschaftspolitische Grundauffassung davon, wie Wirtschaft stattzufinden hat. Ein Plan, den die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und in der Wiedervereinigung und dann in der Finanzkrise fortentwickelt hat. Kurz gesagt geht es dabei darum, Wettbewerb und Flexibilität mit einem großen Maß an sozialer und innerer Stabilität in der Gesellschaft zu verbinden. Und dass eine Wirtschaftsordnung eben nicht nur darauf achten muss, dass es wirtschaftlich vorangeht, sondern auch auf den kulturellen und sozialen inneren Zusammenhalt in der Gesellschaft, das war eine der Erkenntnisse von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer. Ihre intellektuellen Vorarbeiter, wie Walter Eucken oder Wilhelm Röpke haben immer darauf hingewiesen, dass wirtschaftlicher Erfolg nur dann nachhaltig sein kann, wenn man auch darauf achtet, die Dinge jenseits von Angebot und Nachfrage zu berücksichtigen. Deswegen ist meine erste Antwort auf Ihre Frage, warum Deutschland so gut aufgestellt ist: wegen der Sozialen Markwirtschaft, die unser Erfolgsrezept ist.
Die zweite Antwort, die ich geben möchte lautet: gutes Training. Bevor man in ein Spiel geht, muss man trainieren. Wir haben unsere Reformen nolens volens bereits vor der großen Finanz- und Wirtschaftskrise gemacht. Ich erinnere all diejenigen daran, dass wir Anfang dieses Jahrtausends europaweit negative Berichterstattung über Deutschland hatten, dass wir „der kranke Mann Europas” seien – niedrige Wachstumsraten, hohe Arbeitslosigkeit, ein enorm großer Reformstau. Die Flagschiffpublikation des europäischen Kapitalismus, “The Economist”, hat eine Titelgeschichte “The sick man of the Euro” genannt, und hat Deutschland auf die Anklagebank gesetzt Unser Training bestand darin, dass wir den Reformstau in Deutschland aufgelöst haben. Es war die Regierung Schröder, auch mit Unterstützung der Opposition, die den Arbeitsmarkt flexibilisiert hat, die die sozialen Sicherungssysteme auf den demografischen Wandel vorbereitet hat, und die auch die Rolle des Staates in der Krise nicht überinterpretiert hat, sondern in der Sozialen Marktwirtschaft auch Freiheit und Verantwortung zusammengeführt hat. Deswegen ist meine zweite Antwort: gutes Training vor der Krise.
Die dritte Antwort ist: Wir wollen im Team spielen. Fußball spielt man immer als Mannschaft, und das gilt auch für erfolgreiche Wirtschaftspolitik, deswegen war aus Sicht der Bundesregierung die Einbindung Deutschlands in das internationale Szenario wichtig. Als 2008 die Finanzkrise kam, waren insbesondere die Schritte auf der G20-Ebene relevant, und Deutschland hat seinen aktiven Beitrag dort geleistet, nicht nur im Sinne von Geben, sondern auch in Form eines aktiven Diskussionsbeitrags über das, was man vielleicht nicht machen sollte. Damals war die Vorstellung, man sollte die Bankenkrise mit einem explosionsartigen Anstieg von Verschuldung löschen. Gleichzeitig ist jetzt in der aktuellen Herausforderung die europäische Zusammenarbeit der zentrale Punkt. Das macht auch deutlich, dass es hier nicht darum geht, deutsche Konzepte europäisch oder global umzusetzen, sondern darum, einen aktiven deutschen Beitrag für die G20, für die europäische Integration zu leisten. Deswegen hat es uns auch sehr gefreut, dass der Fiskalpakt nicht nur in der Eurozone, innerhalb der 17, sondern von 25 Mitgliedsländern der Europäischen Union unterzeichnet worden ist.
Mein vierter Punkt ist – um in der Fußballanalogie zu bleiben: Deutschland konzentriert sich nicht nur auf die Verteidigung oder nur auf den Angriff, sondern wir glauben, dass sowohl Angriff als auch Verteidigung stimmen müssen. Man darf hinten kein Tor reinkriegen, und muss vorne welche schießen. das haben die Dortmunder mit der polnischen Unterstützung ja sehr gut gemacht. In der wirtschaftspolitischen Kategorisierung würde ich sagen, dass Deutschland, die deutsche Bundesregierung, keinen Widerspruch zwischen Konsolidierung und Wirtschaftswachstum sieht, sondern dies als zwei Seiten der gleichen Medaille verstehen, die da Stabilität heißt. Das deutsche Beispiel zeigt, dass ein Anstieg, eine wirtschaftliche Prosperität und eine Konsolidierungsstrategie bei den öffentlichen Haushalten Hand in Hand geht, und deswegen spielen wir defensiv bei der Staatsverschuldung und Angriff bei der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese Kombination ist vernünftig und zielführend. Dabei will ich in einer Fußnote sagen, dass Deutschland auch bei seinen wirtschaftsstrukturellen Überlegung niemals gesagt hat, es solle eine Monostruktur sein. Es gibt Länder in Europa, die meinen, sie können allein aus Dienstleistung wachsen, oder allein aus Bauindustrie. Wir in Deutschland haben immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass unsere Wirtschaftstruktur eine breite industrielle Basis hat, also auf Industrieproduktion setzt, gleichzeitig die Dienstleistungen nicht selbstreferenziell sind, sondern mit der Produktion in einem starken Zusammenhang stehen. Und schließlich ist Deutschland auch ein Land der Familienunternehmer mit einem hohen Maß an Flexibilität, wie beispielsweise auch das Unternehmen zeigt, das heute Ko-Veranstalter ist, die Robert Bosch Stiftung. Robert Bosch war ja nicht nur ein Repräsentant der Sozialen Marktwirtschaft, sondern auch ein klassischer Familienunternehmer.
Zuletzt möchte ich noch auf darauf hinweisen, dass ein Spiel 90 Minuten hat. Wir hatten auch Glück, dass Deutschland aus der letzten Wirtschaftskrise im Jahr 2009 so erfolgreich herausgekommen ist. Aber das Glück ist mit den Tüchtigen - und wir haben uns tüchtig angestrengt. Deswegen war das Timing, dass die globale Konjunktur so rasch angesprungen ist, sicherlich auch ein Glücksfall für die deutsche Krisenstrategie. Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld hätten wir nicht noch 2 oder 3 Jahre fortführen können.
Meine allerletzte Anmerkung ist: Im Fußball heißt es „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel”. Ich warne alle in Deutschland, zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu glauben, Deutschland sei ein sicherer Hafen, nur weil wir über Griechenland, Spanien, Portugal und andere Länder mehr reden. Zu glauben, wenn man ein Spiel gewonnen habe, gewinne man auch alle folgenden. Deswegen glaube ich, dass eine Botschaft der Deutschen an das Inland und an das Ausland sein muss, dass es keinen Reformstopp geben darf. Denn z.B. Deutschland wird insbesondere vor der Herausforderung des demografischen Wandels stehen, der uns ab 2020 sehr viel härter treffen wird als wir das zum gegenwärtigen Zeitpunkt spüren. Alles, was wir bis 2020 an Umstrukturierung nicht schaffen werden, wird die deutsche Politik dann gegen den erbitterten Widerstand der Betroffenen durchsetzen müssen.
Deswegen heißt es schließlich auch: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Wir müssen uns auch wieder auf das nächste Spiel vorbereiten. Das heißt, die Reformagenda in Deutschland darf nicht im Nichtstun bestehen, sondern muss weiter vorangehen.
Aus den oben genannten Gründen glaube ich, dass manche auf Deutschland gucken. Ob man diese Art zu spielen kopieren kann? Man kann nie ein Spiel kopieren, jede Nation hat ihre eigenen Lösungsmöglichkeiten. Aber ich hoffe, ein paar Hinweise gegeben zu haben, weshalb ich glaube, dass wir zum derzeitigen Stand bei dieser Weltmeisterschaft bzw. bei dieser Europameisterschaft, nicht kurz vorm Ausscheiden stehen, sondern auf dem Weg in die nächste Runde sind.
8. August 2012
Hier finden Sie das Statement von Steffen Kampeter auch in Audioform.